150 Jahre „Cademia“
Ein Blick auf die Geschichte der Kunstvermittlung in Gröden zeigt, dass diese nicht ganz so kontinuierlich verlief, wie man es gerne glauben möchte: Bereits vor etwa 200 Jahren, im Jahr 1825, wurde in St. Ulrich, dank staatlicher Unterstützung, eine erste Schule, eine sog. „Zeichenschule“ eröffnet. Die politischen Behörden hatten längst erkannt, dass ein Leben bzw. Überleben in Gröden durch die Landwirtschaft allein nicht möglich war. Deswegen zielte der an der Zeichenschule angebotene Unterricht v.a. auf eine Anhebung der Qualität der Grödner Schnitzkunst ab.
1872, vor 150 Jahren, eröffnete Ferdinand Demetz am jetzigen Standort unserer Schule eine „staatlich subventionierte Lehrwerkstätte für Holzschnitzer“. Das moderne Schulgebäude hatte Demetz aus eigenen Mitteln auf seinem Privatgrundstück errichtet. In den geräumigen Klassenzimmern bzw. Werkstätten des Hauses erhielten jeweils bis zu 25 Schüler einen sehr praxisorientierten Unterricht. Unter der Aufsicht von Professor Demetz, der einige Jahre zuvor eine Ausbildung an der Akademie in Wien abgeschlossen hatte, wurde gezeichnet, modelliert und geschnitzt. Zumeist konnten dann nach drei bis vier Jahren tüchtige Bildhauer aus der Lehre entlassen werden. Der Gadertaler Franz Tavella und die Grödner Ludwig Moroder-Lenert und Rudolf Moroder zählen wohl zu den namhaftesten. Für sein Engagement erhielt Demetz auch Unterstützung aus Wien: Neben einem Honorar für seine Lehrtätigkeit zahlte die Regierung auch einen Mietzins sowie einen Beitrag für Licht, Heizung und Materialien. Demetz‘ Idee war erfolgreich: Seine Schule, die von den Einheimischen schon bald „Cademia“ genannt wurde, vermochte es dem Grödner Kunsthandwerk einen wichtigen Impuls zu geben. Nachdem die Spielzeugproduktion in den vorangegangenen Jahrzehnten mit einem Nachfragerückgang zu kämpfen gehabt hatte, sorgte die sakrale Bildhauerei (die Produktion von Heiligenstatuten und kirchlichen Einrichtungsgegenständen) für zahlreiche neue Beschäftigungsmöglichkeiten bzw. für bessere Einkommensmöglichkeiten.
Allerdings kam es 1883, elf Jahre nach ihrer Eröffnung, zur Schließung der Schule oder besser: Die staatliche Subventionierung wurde gestrichen und aus der „staatlichen subventionierten Lehrwerkstätte“ wurde eine private Werkstatt, eine wie es sie im florierenden St. Ulrich der Jahrhundertwende viele gab. Über den Grund für die plötzliche Streichung der öffentlichen Bezuschussung kann man nur spekulieren. Vielleicht lag es daran, dass im selben Jahr eine Fachschule für Holzbearbeitung in Bozen eröffnet wurde; vielleicht lag es aber auch an so mancher bösen Stimme im Tal selbst. Man munkelte, Demetz würde seine Schüler für sich selber arbeiten lassen und aus dem Verkauf der Arbeiten seiner Schüler Profit schlagen. Tatsächlich war es so, dass ein Teil der Mittel zur Schulfinanzierung aus dem Verkauf von Schülerarbeiten herrührte. Doch war der Unterricht dafür auch kostenlos, Schulgeld musste keines entrichtet werden.
Wie dem auch sei, 1890, sieben Jahre nachdem die „Cademia“ geschlossen worden war, kam es in St. Ulrich zu einer neuerlichen Schuleröffnung, nicht zuletzt, weil die wirtschaftliche Bedeutung der Holzbildhauerei in jenen Jahren enorm gewachsen war. Die „k. u. k. Fachschule für Zeichnen und Modellieren“ war im neu errichteten Volksschulgebäude am Kirchplatz untergebracht und unterstand zumeist der Leitung von staatlich besoldeten Experten, die aus anderen Gegenden der Monarchie nach Gröden berufen wurden. Zwar durchlebte auch die Fachschule in den folgenden Jahrzehnten eine wechselvolle Geschichte, bedingt durch den Ersten Weltkrieg und der Zuordnung zu Italien, doch gelangte ihre Tätigkeit niemals zu einem kompletten Stillstand. Aus dieser öffentlichen Schule ging also im Laufe der Zeit, aufgrund verschiedener Schulreformen, das heutige Kunstgymnasium „Cademia“ hervor – Grund genug für die damalige Leitung der Schule (damals hieß sie noch Kunstschule) 1990 das 100-jährige Bestehen der Schule zu feiern.
Doch auch die Leistung des Ferdinand Demetz gehört gewürdigt. Schließlich ist seine Initiative, seine Schulgründung, ja nicht „versickert“, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Ihn als „Gründer“ („Fundadëur“) der Schule zu bezeichnen, so wie es die Glastafel im Foyer der Schule tut, erscheint keineswegs verfehlt. Demetz war es, der die Idee hatte: Er hatte erkannt, dass eine solide Bildung bzw. Ausbildung zu mehr Qualität im Kunsthandwerk beitragen konnte. Die Würdigung seiner Vision zeigt sich nicht zuletzt in der Namensgebung des Kunstgymnasiums „Cademia“, das sich ja auch exakt an derselben Stelle befindet, wo einst Demetz’ Lehrwerkstätte stand. In den 1930ern hatte die Gemeinde das inzwischen zur Gästepension umfunktionierte Gebäude angekauft und es seinem ursprünglichen Zweck zurückgegeben. Hier wird (seit 1999 in einem modernen Neubau) auch heute noch Zeichnen, Modellieren und Schnitzen unterrichtet – natürlich neben zahlreichen anderen Fächern, die der Stundenplan der Schule inzwischen vorsieht. So wird etwa in verschiedenen Sprachen über die künstlerischen Stilrichtungen der Moderne diskutiert, es wird philosophiert, getextet und gerechnet, oft auch mit digitaler bzw. elektronischer Unterstützung - womit sich wieder eine Verbindung zu Ferdinand Demetz auftut: 1901 war er es, der das erste E-Werk des Tales eröffnete (zu einer Zeit, als gar nicht wenige das elektrische Licht für eine teuflische Erfindung hielten). Demetz war eben ein heller Kopf, ein Pionier, offen für alles Neue. Gut möglich, dass sich diese Offenheit und Schaffensfreude auch auf seinen Enkel, den Bergsteiger und Filmemacher Luis Trenker übertrug. Und um von Trenker wieder zurück auf unsere Schule zu kommen: Ja, auch das Filmemachen gehört längst zum Unterrichtsprogramm.
Sabine Piazza